Beteiligungserfahrungen vor Ort - Kernergebnisse der aufsuchenden Befragung
Um einen ersten Einblick in die Sichtweisen, Interessen und Bedürfnisse der Bewohner*innen aus dem Stadtteil bzw. Quartier zu erhalten, wurden zu Projektbeginn Kurzinterviews in Berlin-Moabit (12 Interviews) und Wiesbaden-Biebrich (14 Interviews) geführt. Dabei handelte es sich um explorative Gespräche im Rahmen einer aufsuchenden Befragung. In den 12 bzw. 14 durchgeführten und qualitativ ausgewerteten Interviews konnten erste Eindrücke gesammelt werden. Der/die Interviewer*in übernimmt dabei die Rolle des/der neugierigen Gesprächspartner*in, der/die Interviewte die Rolle des/der Quartier-Expert*in. Durch offene Fragen lassen sich bedeutsame Themen und persönliche Sichtweisen in geeigneter Weise erheben.
Bei den Gesprächen, vorwiegend mit Bewohner*innen mit Migrationshintergrund, waren folgende vier Aspekte von besonderem Interesse:
- Welche Beteiligungserfahrungen haben die Befragten gesammelt?
- Für welche Themen in der Stadtentwicklung interessieren sie sich?
- Wie ist das Verhältnis zur Stadtverwaltung?
- Welche Ansatzpunkte für eine interkulturelle Verständigung finden sich?
Berlin-Moabit: Sicherheit, Verkehr und Integration als wichtige Themen
Vor allem um Sicherheit, die Infrastruktur und die Steuerlast ging es bei der Frage nach den aktuellen Themen in Moabit. Etwas eingehender wurde zudem über Integration gesprochen. Sicherheitsmängel bezogen die Befragten auf eine aggressive Stimmung im Viertel, auf Vandalismus, Drogenkonsum und Drogenkriminalität. Zudem wurde über mangelnde Sauberkeit im öffentlichen Raum geklagt. Das Thema Infrastruktur umfasste mehrere Aspekte. Neben allgemeinen Anmerkungen zur Verkehrsinfrastruktur erwähnten einige die zu hohe Zahl an Baustellen und Staus. Weiteres Gesprächsthema war der Mangel an günstigen Wohnungen, der mittlerweile auch Moabit erreicht habe, und der notwendige Ausbau von Unterstützungsmöglichkeiten für Kinder. Die Steuern wurden zudem als zu hoch eingeschätzt. Angesprochen auf das Thema Integration wurde kritisiert, dass es kein Konzept für Einwanderung gebe. Darüber hinaus sei es wichtig, das Thema Einwanderung richtig zu vermitteln und Zugewanderte gleichmäßig auf alle Schulen zu verteilen, so die Gesprächspartner*innen. Nach ihrer Wahrnehmung der Stadtverwaltung befragt, kamen lange Wartezeiten in den Behörden zur Sprache, auch bei Terminvereinbarungen etwa im Standesamt müsse man sich lange gedulden. Darüber hinaus wurde auf unfreundliches Personal hingewiesen und eine schnelle Bearbeitung von Anträgen gefordert.
Wiesbaden-Biebrich und Westend: Enger Wohnungsmarkt und Probleme im Verkehrsbereich
Beim Thema Stadtentwicklung beschäftigt die Befragten momentan vor allem der Wohnungsmarkt, der zu wenig günstige Wohnungen biete. Darüber hinaus gab es Hinweise auf eine zu verbessernde Verkehrsinfrastruktur. Zum einen wurde eine pünktlicherer und besserer ÖPNV gefordert, hier kamen sowohl die CityBahn als auch die Straßenbahn nach Mainz beispielhaft zur Sprache. Speziell in Biebrich wurde auch auf den Parkplatzmangel hingewiesen. Allenthalben hielten die Interviewten den Ausbau von Schul- und Kitaplätzen für notwendig und beklagten die mangelnde Sauberkeit auf öffentlichen Plätzen. Speziell im Westend wurde darüber hinaus auf den Drogenumlauf hingewiesen.
Im Hinblick auf die Wahrnehmung der Stadtverwaltung wurden ständige Kontrollen durch das Ordnungsamt beanstandet, jedoch auch eine grundsätzliche Zufriedenheit mit der Arbeit der Stadt Wiesbaden geäußert.
Was bedeutet das für Bürgerbeteiligung?
Mit welchen Herausforderungen die Stadtentwicklung konfrontiert ist und bei welchen Themen eine Bürgerbeteiligung offenbar besonders relevant ist, sehen Anwohner*innen mit Migrationshintergrund kaum anders als solche ohne Migrationshintergrund – auch wenn letztere nur vereinzelt befragt wurden. Dieselben Themen der Stadtentwicklung betreffen migrantische wie nicht-migrantische Personen im Quartier offenbar gleichermaßen. Es erscheint deshalb nur konsequent in Beteiligungsverfahren die einzelnen Gruppen im Quartier gezielt anzusprechen, unter anderem aufsuchend, vor allem in Berlin mit mehrsprachigen Ansätzen und mit einer frühen Einbindung von Multiplikator*innen, um sie für die Beteiligungsprozesse zu gewinnen und zu engagieren.
Relevante Ergebnisse ergaben auch die Fragen nach der Wahrnehmung der Stadtverwaltung. Während in Wiesbaden ein insgesamt positives Bild über die Verwaltung vorherrscht, werden in Berlin effizientere Verwaltungsabläufe gefordert.
Nach ihren bisherigen Beteiligungserfahrungen befragt, berichteten die Interviewten nur sehr vereinzelt über Berührungspunkte mit Bürgerbeteiligung. Allerdings wurde auch deutliche Skepsis geäußert: Teils gab es kein Interesse, sich über (stadt-)politische Themen zu unterhalten, teils wurde Bürgerbeteiligung eher als „etwas für Deutsche“ betrachtet. Dennoch weckten Erläuterungen über mögliche Wirkungen von Beteiligung durchaus Interesse, mehr darüber zu erfahren. Hinsichtlich der Frage nach interkultureller Verständigung ließ sich feststellen, dass nur wenig interkulturelle Kommunikation stattfindet, sondern es mitunter auch zu Skepsis und Konflikten kommt.
Die Auswertung der Interviews konnte genutzt werden, um dem Prototypen einen ersten Anstrich zu geben. Es wurde deutlich, welche Themen (der Stadtentwicklung) den Bewohner*innen der Stadtteile Moabit und Biebrich besonders wichtig sind. Diese wurden im Prototypen aufgegriffen, um ihn an Bewohner*inneninteressen anzugleichen. Gleichzeitig unterstrichen die Interviews, dass Stadtentwicklung alle Personen betrifft, ohne dass sie selbst bestimmte Themen unmittelbar als Stadtentwicklung wahrnehmen. Der Prototyp bekam dadurch die zusätzliche Aufgabe, Wissen über Themen der Stadtentwicklung zu vermitteln.