Beteiligung in Deutschland: Welche Wirkung haben Erfahrungen aus den Herkunftsländern, welches Potential liegt im Wissen über die Planungskulturen der Herkunftsländer?
Welche Planungskulturen und Partizipationspraxen gibt es in ausgewählten Herkunftsländern von Menschen mit Migrationshintergrund und welche Rolle kann Wissen dazu für Konzepte der Interkulturellen Öffnung spielen? Diese Frage untersuchte für INTERPART der Projektpartner UP19 Stadtforschung + Beratung GmbH (UP19) in einer Kurzrecherche zu Beginn des Projekts. Ziel war es, einen Überblick über die Planungsbeteiligung zu Stadt- und Quartiersentwicklung in verschiedenen Ländern zu erhalten, aus denen aktuell oder auch historisch Zuwanderung erfolgt. Bei der Recherche kamen zum einen Medien- und Literaturanalysen zum Einsatz, zum anderen wurden Expert*innen vor allem aus dem Kontext der Entwicklungszusammenarbeit, aber auch aus dem lokalen oder vor Ort forschenden akademischen Kontext interviewt.
Konkret untersuchte INTERPART für ausgewählte Länder, zu welchen Handlungsfeldern welche Planungskulturen existieren und mit welchen Methoden, Medien und Teilhabemöglichkeiten ggfs. dort in Stadtplanungsprozessen beteiligt wird. Von besonderem Interesse war zudem, welche Rolle intermediäre Akteure als „Scharniere“ zwischen Staat und Bevölkerung spielen und inwieweit Beteiligungsverfahren ggfs. im Zusammenhang mit lokalen Demokratiebewegungen stehen.
UP19 bezog in seine Untersuchung die Länder Nigeria, Tunesien, Marokko, Syrien, Serbien, Ukraine und die Türkei ein. Im Ergebnis zeigte sich, dass sich die Planungskulturen in den betrachteten Herkunftsländern stark unterscheiden von den hiesigen oder – aus westeuropäischer Perspektive betrachtet - noch im Aufbau sind. Wo Beteiligungskonzepte existieren, beeinflussen unterschiedliche Faktoren deren Konzeption und konkrete Umsetzung. Relevant für Ziel und Ausgestaltung von Partizipation ist zum Beispiel die Frage, ob das jeweilige Land eine Kolonialgeschichte hat und aus dieser Geschichte eine den Planungskulturen europäischer Staaten ähnliche oder eigene Struktur und rechtliche Rahmenbedingungen für Planung existieren. Auch die Rolle demokratischer Institutionen und die Legitimation staatlicher Steuerung gegenüber der Zivilgesellschaft prägen das Beteiligungsverständnis der Bevölkerung. Ob ein Staat eher zentral oder dezentral organisiert ist, hat großen Einfluss darauf, welche Beteiligungsmöglichkeiten der Bevölkerung auf den verschiedenen räumlichen Ebenen eröffnet oder auch vorenthalten werden. Weitere wichtige Faktoren sind die Relevanz des Marktes, die Land- und Wohneigentumsstrukturen sowie die Frage, inwiefern Landnutzung und Bautätigkeiten formal festgelegt sind oder eher informell geregelt werden.
Die Ergebnisse der Herkunftsländerrecherche nahm INTERPART zum Anlass, weiterführend zu diskutieren, welche Ansatzpunkte sich aus dem gewonnenen Wissen für die Entwicklung interkultureller Dialogräume und für die institutionelle Weiterentwicklung in Deutschland ergeben. Mitgebrachte und/oder überlieferte Erfahrungen aus den Herkunftsländern können die Haltungen von Einwander*innen unterschiedlicher Einwanderungsgenerationen gegenüber Beteiligungsprozessen durchaus beeinflussen, ebenso der Grad des Vertrauens, das die Zivilgesellschaft in die öffentliche/planungsverantwortliche Verwaltung haben kann. Hierzulande kann die Kenntnis solcher Erfahrungen damit einen wichtigen Wissensbaustein für ‚Expert*innen‘ darstellen. Ob diese Erfahrungen auch Wirkung im neuen Lebensumfeld zeigen, in dem insbesondere fluchtbedingt Zugewanderte aller Lebensstilgruppen zunächst Prioritäten in der akuten Existenzsicherung haben, ist schwer nachvollziehbar. Auch die Wirkungsrichtung ist nicht eindeutig: Bisherige individuelle Beteiligungsaktivitäten oder Nicht-Beteiligung könnten fortgeführt werden, aber auch eine bewusste Abgrenzung von Erfahrungen aus und Verhaltensweisen in den Herkunftsländern ist denkbar. Erfahrungen aus den Herkunftsländern sind daher ein möglicher Faktor unter mehreren, die die Bereitschaft zu Beteiligung beeinflussen. Anknüpfungsmöglichkeiten an Vorerfahrungen zu Beteiligung gilt es – im besten Falle ausgehend von einem Basiswissen der Planer*innen – entsprechend fallspezifisch in einer „Phase 0“ von Beteiligungsprozessen zu erfragen.